17 Februar 2012

Maroc 4 my Mimamai

"My Mimamai" ist meine Frau daheim. Sie hält mein Herz in guten Händen. Per Skype sprechen wir meist morgens und abends. Doch nun haben sie meine Berichte erschreckt. Sie fürchtet sich für einen kurzen Schnupperurlaub für zwei Wochen zu mir zu fliegen. Dabei ist sie doch herzlich eingeladen!

Mimamai ist der Kosename meiner lieben Stephanie. Sie fehlt mir. Sie ist mein zweiter Leser - nach mir. Weil es mich Zeit und Nerven kostet, mich in das Dritte-Welt-Leben einzufühlen, ist meinen Berichten zuviel dieser Anspannung anzumerken. Wo bleibt das Positive?



Bisher hat noch keiner dieser Hochstapler-LKWs Ladung vor mir verloren.

Wen überfüllte, staubige, laute Orte anstrengen, sollte sich viel Zeit und Ruhe nehmen. Auch in München ist es nicht leicht, für meine Sechs-Meter Walkuh einen Parkplatz zu finden, ebenso schwer ist es in Rissani. Dort gibt es wieder, keine 30 Kilometer von dem Wüstentreffpunkt der überwinternden Rentner aus Erg Chebbi, Diesel, eine Bank, einen Markt - sogar ein Riesenrad. Das Wandgemälde, vor dem drei Männer die Morgensonne genießen, gaukelt mehr Wald vor, als es dort gibt.



Was der Maler auf seinem Wandgemälde erträumte, gibt es in der Gegend nicht. Doch die Ruhe in der hellen Morgensonne, die die drei Männer genießen, die gibt es - in sich.

Wer aus dem Wüstenkaff Erg Chebbi nach Rissani fährt, sieht zwar ein paar Palmen, fährt dann aber weiter auf einer dürren Wüstenstrecke nach Alnif in Richtung Tazzarine. Die Straße hat man fast für sich allein. Nur stören gelegentlich die Schlaglöcher. Doch immerhin hat ein Asphalt-Band die Piste ersetzt.



Die N-12, eine recht gute Straße von Rissani nach Alnif, führt durch steiniges Gelände. Die meisten der etwa 20 Fahrzeuge auf der Strecke waren Wohnmobile.



Die dauernd strahlende Sonne ist für Touristen ein Segen, für die Wasserversorgung ein Fluch. Das letzte Mal, erzählt mir ein Einheimischer, habe es im Oktober 2011 geregnet.



Hinter dem Gräberfeld liegt die Wüstenoase Tazzarine, in deren Palmengarten heute schon nach 191 Kilometer meine Reise ruht.


Zwei-Stern Camping Amasttou in Tazzarine: Sonnenschein, Palmen, blühende Bäume, himmlische Ruhe, Blumenkohl mit Möhren und Zwiebeln zur Nacht - was will der Mensch mehr?



Die weiße Pracht des blühenden Baumes hält sich in Tazzarine länger als der Schnee in München derzeit.



Es fehlt jede Erklärung in lateinischer Schrift an diesem Denkmal in Tazzarine. Der Sinn der arabischen Zeichen im aufgeklappten Buch bleibt mir daher verborgen.



Mein Körper stellt sich langsam auf Sonne und Wärme um. 26 Grad Celsius mittags im Auto sind beim Mittagsschlaf gerade recht. Wäre Wasser im Pool des CP Amasttou, würde es mich kaum reizen - vermutlich zu kalt.



Trotz aller Urlaubsfreuden in Luxus und Sonne mein Gefühl bleibt: Sozialen Spannungen kochen hoch, die auch die Polizei in Marokko nur noch mühsam unterm Deckel halten kann.


Zagora

Der Weg heute strengt mit 135 Kilometern von Tazzarine nach Zagora kaum an. Zudem führten zwei Drittel der Strecke durch Wüste. Dort gibt es kaum Verkehr, keine Radfahrer, keine Esel, keine Fußgänger und vor allem keine lästigen Verkäufer. Diese springen mit ihren Päckchen, wie Dattelschachteln in den Fahrweg, als wollen sie wie Stierkämpfer den Wagen mit wedelnden Waren stoppen. Das nervt. Zudem erwärmt die aufgehende Sonne einen morgentlich kühlen Tag. Die Jungs vom Campingplatz sitzen noch fröstelnd beim Morgentee. Sie schlagen die Arme um sich und fragen: "Ist Ihnen nicht auch kalt?" Anstatt munter mir Sympathie zu erlügen mit einem simplen "Ja", handelt sich meine als hochmütig empfundene Antwort einen bösen Blick ein. "Nein, mein Wagen hat Heizung." Denn Heizung haben die Männer im Campingplatz nicht, deren Schnarchen morgens aus dem Berberzelt tönte.



Wenn der Weg in weite Wüsten noch frei von Schlaglöchern ist, lässt es sich wundervoll entspannt reisen. Das wechselnde Licht über Steinen, Hügeln und Sand verzaubert die Landschaft.

Auf diesen Wüstenwegen kannst Du Dich überall an den Straßenrand stellen, genüßlich eine Pause machen, denn dabei stören Dich weder Bettelkinder noch Verkäufer. Sobald dem Touristen eine Attraktion winkt, sobald Du dafür aus dem Auto steigst, drohen Dir hungrige Dienstleister oder quängelnde Kinder. Doch dieser Kasbah Oulad Othmane, welche auf dem Schild dann noch "freien Eintritt und frei Parken" verspricht, ist schwer zu widerstehen.



Der Eintritt ist frei. Doch im Gebäude flötet Dich dann eine Fatima an, welche 20 DH für die Renovierung verlangt. Das Parken ist zwar frei, doch hinterher behauptet ein Dattelverkäufer, das Fahrzeug bewacht zu haben. Das kostet.



Asiz, ein 20jähriger Student, erklärt mir in der Kasbah den Backofen und will nicht mal Geld für seine Dienste. Hinterher ist er enttäuscht, weniger zu bekommen als Fatima für die Renovierung ihrer Lehmburg.



Der fette Tourist, in dem Fall der Autor, lässt sich in imperialer Pose auf den Zinnen der Kasbah vom studentischen Führer fotografieren.



Wie heute Bankmanager im höchsten Stockwerk residieren, so sah auch der dort herrschende Kaid auf seine Untertanen von oben herab. In seinem gütigen Verständnis soll er zwei Frauen, eine Berberin und eine Araberin, bessen haben, um beiden Bevölkerungsgruppen ausgleichend besser zu dienen. Seine Nachfahrin Fatima treibt mit lächelnd lockenden Reizen vom Touristen Geld für die Renovierung ein.

Die Kohlbach-Bibel, man sollte nach der Staatsreligion hier wohl besser vom Kohlbach-Koran sprechen, führt dann mit sauber verzeichneten Koordinaten direkt zum besten Platz in der Stadt, dem Jardin de Zagora. Hier vergnügt sich wieder die belgisch-französische Rentnerelite. Etwa 60 Mobile von 50.000 Euro ab aufwärts. Fernsehschüsseln auf dem Dach. Einige mit Anhängern oder Quad an Bord. Rüstige Rentner fläzen sich im Liegesessel, bräunen ihren fetten Wanst. Manche kullern Kugeln in Badehose. Dass ägyptische Klerikalfaschisten Bikinis verbieten wollen, ist bei den Damen gesetzteren Alters vielleicht nicht einmal die schlechteste Idee. Eine Kollegin im Job hätte bei der Bemerkung aufgeheult und mich mit fünf Euro für die Macho-Kasse strafen wollen. Hier sitzen heute die meisten Männer im Kaffeehaus. Es ist ja Freitag, also Feiertag. Einige junge Frauen, sofern kein Kind im Bauch und keines auf dem Rücken, arbeiten am Bau.

Die Einfahrt zum CP Jardin de Zagora mit dem bauchigen orientalischen Tor wäre ein hübsches Motiv mit der Walkuh darunter. Doch schon wieder springen drei sechs- bis achtjährigen Knirpse mir in den Fahrweg und rasseln ihr herzzerreißendes Bettelmantra runter: "Stylo?! Dirham!? Bonbon!?" Wenn sie dann noch aus ihren flehentlich braunen Knopf- und Kulleraugen Dir traurig in Dein steineres Touristenherz blicken, dann flüchtest Du Dich beschämt in den Schatten - hilf- und haltlos.

Ist der Körper der Kinder ausgewachsen, schrecken sie uns im Westen mit schaurigen Nachrichten. SPIEGEL online vom 15. Februar berichtet Hallo! Ein Link! von mobbender Mordhatz bei Facebook auf den feinsinnigen Intellektuellen Hamsa Kaschgari.



Eine furiose Facebook-Meute mobbt zur Mordjagd auf den feinsinnigen Intellektuellen Hamsa Kachgari. Kaum einer wagt Solidarität mit dem Gejagten.

Doch wertvollen Geister aus Mohammedanischen Kreisen wie Marwan Bishara, the senior political analyst at Al Jazeera Hallo! Ein Link!, strahlen Licht in die dunkle Zeit.



Die Bildunterschrift "Die Stimme der unsichtbaren Arabischen Massen wurde durch die Herrschenden Eliten immer zum Schweigen verdammt" - kann man nur zynisch kommentieren: Das ist so in Sklavenhalter-Systemen.

Doch diese Polit-Betrachtungen und Bilder machen meiner Mimamai in München auch nicht mehr Mut, ins Flugzeug zu steigen, um wie ein Vogel geflogen zu kommen, sich nieder zu setzen auf mein' Schoß. Wo bleibt denn nun das Positive?

Etwa 60 bis 80 Rentner-Mobile wissen das Positive hier zu schätzen: Ständiger Sonnenschein, schon wärmere Nächte als im Norden des Landes, moderate Preise, gepflegte Umgebung unter schattigen Palmen und Bäumen im Grünen.



Nun super positiv: Jardins de Zagora, stadtnaher CP mit WiFi im Grünen einer reicher Stadt, in der sogar einige Radiostationen auf UKW senden. Aufpreis für meine Frau bei mir wäre ein Euro.



Was mich am meisten wundert: Etwa 60 Rentnerpaare machen kaum einen Mucks, abends schon garnicht. Selbst deren Köter kläffen nie. Am lautesten zirpt noch eine Grille vorm Fenster.



Meinem ausgewiesenen Atheismus würde ein Freitagsgebet sicher nicht schaden. Aber Ungläubige dürfen nicht in dir Moschee - Frauen wahrscheinlich auch nicht.

Doch Maroc 4 My Mimamai: Dich lassen sie hier rein - sicherlich! Und auch wieder raus nach Haus. Ohnehin fehlt hier mir und der Walkuh mein Wisch-&-Wasch-Bär. Ganz viel fürchterlich.

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