26 Februar 2012

Taroudant - Tizi-n-Test - Wirgane

Heute hat meine Frau Geburtstag. Sie hat ihr Geschenk angenommen, ihren Flug für den 1. März nach Marrakech gebucht. Sie kommt!

Agdz und Zagora waren schön. Warm, stadtnahes Camping, um leicht einzukaufen, brauchbare Internet-Verbindungen, ruhige Nächte. Agdz und Zagora liegen schon wieder hinter mir. Unvergesslich die Maschine, welche morgens mit etwa 120 Umdrehungen pro Minute anlief. Neben dem Lärm stößt das Gerät schwarze Ruchfahnen bei jeder Zündung aus. Der Dieselmotor erscheint mir wie ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert.



Dieser antike Dieselmotor pumpt Wasser, um Palmen und Gärten von Agdz zu bewässern.

Die Aussicht nach vielleicht nur noch sieben weiteren Nächten meine liebe Frau in Marrakech in die Arme zu schließen, treibt mich zur Eile an. Von Agdz führt mich mein nächsten Ziel 172 Kilometer weiter nach Taliouine. Die Wege sind oft hart, eng und nur langsam zu fahren. Als die freundliche Wirtin der Palmerie die angesagte 10.00 Uhr Tour durch ihre Kasbah verschieben muss, schüttelt mich das Reisefieber zum Aufbruch.



Den Platz zu verlassen, fällt schon schwer. Doch Reisende sind einfach nicht aufzuhalten.

Die Straße von Agdz Richtung Agadir ist etwa 60 Kilometer lang eine schwere, einspurige Schüttelstrecke. Selten, dass es mal im vierten Gang ab 40 km/h vorwärts geht. Meistens reicht der dritte Gang mit beschaulichen 30 km/h. Umso verwunderter überrascht mich bei einem Halt, dass ein schweres doppelachsiges Gefährt mit einem Anhänger vorbei donnert, auf dem der französische Plastikbomber gleich zwei Quads gen Wüste zieht.



Der Weg schraubt sich bis auf eine Höhe von 1850 Meter. Die ersten Regentropfen seit Wochen weichen daher bald einem Schneetreiben.

Auf dem mühsamen Weg durch die karge Landschaften tauchen selten genug Hirtenbuben oder auch -mädchen auf, die auf wenige Ziegen und Schafe aufpassen.



Die Verkleinerung auf 900 Pixel Bildbreite wird kaum erkennen lassen, dass sich auf dem kargen Berghang Ziegen und Schafe ihr mageres Futter suchen.





Der Bergbau irgendeines Materials gibt diesem Bergdorf sein industrielles Aussehen. Der See hinten scheint irgendwelche Abbauflüssigkeiten zu enthalten - sicher kein Badesee.





Auch wenn man es auf dem Bild vielleicht nicht erkennt, doch es ist Fakt: Eine der Hütten schmückte sich mit einer stattlichen Satellitenschüssel. Das Bild sieht man häufiger hier.





Je höher sich die Strasse schraubt, umso erstaunlichere Gebäude sieht man. Die Schutzhütte scheint das Werk eines Hirten zu sein. Steine liegen ja genug dort rum.





In Tazenakht muss man sich entscheiden: Der kurze Weg nach Marrekech wäre in 234 Kilometer zu schaffen. Der Abstecher über Agadir misst mehr als 500 Kilometer von Tazenakht.

Das Schneetreiben auf der Passhöhe bei zwei, drei Grad ist ein harter Kontrast zu den sonnigen Tagen in Zagora und Agdz. Auch auf dieser unwirtlichen Höhe steht ein zugiges Steinhaus. Ein fröhlicher Steinhändler zeigt mir seine gesammelten Schätze. Als er merkt, dass er nicht mehr von mir bekommt als eine Dankeschön für seine Mühen, bittet er mich um Essen. Dabei fällt mir auf, dass hinter seiner Steinbehausung ein kleines Feuer aus dürren Zweigen gegen Wind und Schneefall kämpft. Der Mann riecht wie in Rauch gebadet. Seine Schuhsohlen sind abgerissen. "Eine Orange"? fällt mir ein, die noch im Obstkorb liegt. Der Alte nickt dankbar. Er erhält meine letzte Orange und meine letzten Karotten. Dankbar schenkt er mir zwei seiner Steine dafür.



Wie der Alte bei der Arbeit als Steinhändler im Schneetreiben, gewärmt vom rauchigen Mini-Feuer mir lächelnd noch seine Zahnstummeln offenbart, zeugt von seiner wahren Frohnatur.





Atemberaubende Berg unter den Wolken zwingen mich immer wieder, zu verweilen. Wenigstens ein Bild soll davon berichten.





Dank dem Kohlbach-Führer, der passgenaue Koordinaten vorgibt, dank dem Garmin-Navi, bleibt mir die Massenansammlung von WoMos am anderen Platz erspart. Der Platz bleibt mir allein heute nacht.

Die sechs Stunden lange Fahrt für diese 170 Kilometer erleicherte mir nun eine Mittagspause. Doch es gelingt mir nicht, einfach anzuhalten, zu parken und ungestört zu bleiben. An einem passenden Platz kam sofort ein junger Mann, der seinen verwaisten Campingplatz mit Leben füllen wollte. Wenigstens einen Tee, besser eine Tajine will mir der freundliche Mann andienen. Im Hintergrund tummeln sich drei, vier, fünf Kinder - alle im Vorschulalter. Als er merkt, dass mit mir kein Geschäft zu machen ist, fällt seine freundliche Maske. Sein Gesicht zeugt von hungriger Feindschaft.

Es macht mir keinen Spaß mehr, die geforderten Preise zu zahlen. Der Tankwart bekommt das, was die Tankuhr zeigt. Der Platzwart von Campingplatz muss sich mit 15 DH weniger begnügen. Der Obstverkäufer bekommt 5 Dh weniger, als er will. Den Liter Saft, der in Zagora mich 12 DH kostete, gibt es auch schon für zehn DH. Meine Meinung: Was viele Touristen als Freundlichkeit und Gastlichkeit der Menschen hier wahrnehmen, kostet etwa etwa 30 Prozent Aufpreis - und mehr.

Irgendwie hängt mir die Mahnung meines Bruders nach. Er warnt mich davor, mich nicht mit dem Schild hinter meiner Windschutzscheibe zu gefährden. Meine Texte könnten bei unwilligen Lesern Gewalt gegen mich oder meine Walkuh auslösen. Es scheint, als ob wir uns unsere Meinung abschaffen sollen oder müssen, um unbehelligt zu bleiben.





Mein Bruder daheim meint, es sei sicherer, meine Meinung nicht offen zu zeigen. Deutschland wird am Hindukusch verteidigt. Doch daheim verliert das Land - zuerst die Freie Meinung.






Aus den Krokusblüten gewinnen die Menschen in Taliouine Safran.





Kein Schatten an der Friedhofsmauer in Taroudant. Drückende Mittagshitze. Bald 30 Grad im Wagen. Bis zum Atlantik noch 100 Kilometer weiter. Dort tummeln sich auf drei Prozent der Fläche 97 Prozent der Winter-Touristen.

Doch an der Friedhofsmauer in Taroudant gibt es eine schnelle Internetverbindung. Skype lässt mich technisch ungestört mit meiner Frau sprechen. Nach langem Hin-&-Her entscheidet sie sich endlich. Augenblicklich reserviert sie ihren Flug. So kommt sie Donnerstag, den 1. März, um 15.10 Uhr Ortszeit nach Marrakech. Damit ist Taroundant, ein Souk mehr, eine jahrhundertealte Mediana mehr abgehakt. Agadir mit den überfüllten Campingplätzen gleich mit - erstmal. Beschwingt geht es zurück auf den nächst erreichbaren Pass nach Marrakech, den Tizi-n-Test. Die Straße ist, wie Reiseführer berichten: einspurig, übersät mit Schlaglöcher, an einigen Stellen hängen Felsen über der Fahrbahn. Zum Tal hin Abgrund, von der Bergseite droht Steinschlag. Dennoch: Die Fahrt lohnt. Die Ausblicke überwältigen mich.



Wer sich durch Taroudant kutschieren lässt, muss sich nicht groß anstrengen.





Vermutlich wird aus diesen Pflanzen das gesunde Arange-Öl gewonnen.





Die Sonne geht tiefer und tiefer. Die Walkuh schraubt sich auf den Serpentinen des Tizi-n-Test auf 2200 Meter Höhe.

Sure 3, Vers 104: "Gutes gebieten, Schlechtes verbieten."

Die Bildschöne sonnige Welt lässt meine Gedanken schweifen zu einigen mohammedanischen Ländern, an deren Sitten und Gebräuche mich mehrere Reisen haben schnuppern lassen: Türkei, Iran, Afghanistan, Pakistan, Marokko. Laufende Nachrichten berichten aus mohammedanischen Länder wie dem Irak, dem Iran, Tunesien, Ägypten, Lybien, Syrien, Bahrein, dem Jemen, Mauretanien, Saudi Arabien. Was unter den Lichtkegel der medialen Aufmerksamkeit fällt, ist meist bedrohlich: Blutige Aufstände, Selbstmordattentate, katastrophale Wasserknappheit, soziale Spannungen, Entführungen von Touristen, blutige Auseinandersetzungen bei sportlichen und klerikalen Veranstaltungen, Angriffe auf Frauen wie von Religionspolizisten oder klerikalen Sittenwächter. Allein die letzten beiden Berufe erscheinen dem westlichen Streben nach individueller Selbstverwirklichung wie Geschichten aus 1001 Nacht.





Die Strecke zieht sich zehn, 15 Kilometer. Es geht meist nur im zweiten und dritten Gang vorwärts. Oftmals Halt bei Gegenverkehr.

Sure 3, Vers 104: "Gutes gebieten, Schlechtes verbieten."

Folgendes fällt beim ersten Besuch mohammedanischer Länder auf:

1. Lautstark und unüberhörbar ruft der Muezzin über Druckkammerlautsprecher an den Türmen der Moscheen zum Gebet. Das zusätzlich Fasten von Sonnenauf- bis -untergang im Ramadan einen Monat im Jahr das öffentliche Leben bestimmt, beweist die sakrale Allmacht über dem säkularen Alltag.

2. Man muss nicht sonderlich sensibel sein, um den Gegensatz zwischen arm und reich zu sehen und zu spüren. Mit einfachen Dienstleistungen und Arbeiten für uns Touristen verdienen viele Menschen hier in Marokko derzeit kaum 150 Euro im Monat. Die Superreichen in Nobelhotels, Campinganlagen und Luxuskarossen haben mit der Mehrheit der Menschen in zerschlissener Kleidung und abgelatschen Sandalen nicht viel mehr als den Gang auf zwei Beinen gemein. Weiterhin belagern Kinder in Gruppen fast augenblicklich jeden Touristen, den sie sehen, mit ihrem einförmigen Bettelmantra "Stylo!? Dirham!? Bonbon!?" Das nervt. Kurz: Die soziale Situation scheint so gespannt zu sein, als ob wenige Sklavenhalter über ein Heer von Menschen gebieten, die für Hungerlöhne arbeiten müssen.

3. Schleichend verschlechtern klimatische Veränderungen die Lebensbedingungen. In diesem Jahr 2012 gefährdete bislang eine ungekannte Kältewelle die Ernte. Bis zu minus fünf Grad wurden in manchen Anbaugebieten von Obst und Früchten in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar gemessen. Dass zudem wie selten in den Jahren zuvor seit Monaten kein Regen mehr gefallen ist, gefährdet den landwirtschaftlichen Ertrag. Dass vom Luxus verwöhnte Menschen in Hotelburgen und Campinganlagen bei weitem mehr Wasser als herkömmliche Landwirtschaft brauchen, kommt hinzu.

Was folgt daraus?

Sure 3, Vers 104: "Gutes gebieten, Schlechtes verbieten."

Der Reiche braucht keine Religion. Der Arme hat nichts anderes.

Die mohammedanische Religion trennt sakrale nicht von staatlicher Macht. Sakrale Macht bestimmt staatliche Macht. Folglich bestimmen sogenannte "Geistliche", also Ayatollahs, was als "Gutes" zu gebieten, was als "Schlechtes" zu verbieten ist. Wenn der Zollbeamte bei der Einreise nach Marokko fragt: "Haben Sie Waffen? Haben Sie christliche Schriften?" Waffen wie Bibeln wertet der Zöllner gleich, gleich schlecht. "Schlechtes verbieten". Der Ungläubige ist schlecht. "Gutes gebieten": Devisen sind gut, der Ungläubige darf einreisen. Dessen Devisen sind nötig, um Lohnempfänger des sakralen wie staatlichen Machtapparat, Beamten, Polizisten und Soldaten zu besolden. Wenn Touristen allerdings das sittliche Empfinden wie mit anzüglicher Kleidung, z. B. Bikinis, verletzen, dann ist das "schlecht". Also zu verbieten. Über die Länge der Haare, welcher unter dem Kopftuch hervorschauen, wacht der Religionspolizist. Ob eine Frau sich weiblich aufreizend kleidet und bewegt, bestimmt und bestraft der Sittenwächter. Rigide Religionsausübung reizt männliche Machos mächtig. So spuckt der Schafschnitzel speisende Sonderschüler aus einem sozialen Brennpunkt wie in Kreuzberg auf die Schmalzstulle seinen ungläubigen Mitschülers, dessen Mama so den Harzer liebevoll anfetten. So diskutieren angeregt erregt Fundamental-Klerikal Frustrierte, ob es den Gläubigen in ägyptischen Urlaubsparadiesen weiterhin zuzumuten sei, sonnenbadende Frauen in Bikinis betrachten zu müssen. Sittlich religiöses Empfindet erfordert, dass Damen sich schamvoll verhüllen sollen. All diese furchtbaren Vertreter, diese klein-klerikalen, faschistoiden Fanatiker berufen sich auf das Höchst-Heilige Recht Allerhöchster Autorität, auf Gott.

Sure 3, Vers 104: "Gutes gebieten, Schlechtes verbieten."





Wer nicht schwindelfrei ist, blickt besser nicht in den Abgrund neben der Straße.

Gedanken vor der Passhöhe an der Herberge Bellevue des Tizi-n-Test in 2100 Meter bei null Grad Celsius bei erster Morgenröte auf den Berggipfeln morgens um sieben. Die Welt ist da nicht und nie in Ordnung. Das ordnende Gefüge organisierte Religionsallmacht erscheint mir wie eine gesellschaftliche Zwangsjacke. Doch pathetisches Wortgeklingel geht unter im allüberall erschallendem Geplärr der Muezzins vom Morgengrauen bis zur Dämmerung, vom ersten Schrei nach der Geburt bis zum letzten Hauch vor dem Tod.



An diesem lauschigen Plätzchen in 2100 Meter Höhe steht mein Quartier heut nacht. Der Fernlastverkehr wird sich dann nachts wohl legen.





Gerade als mein Auto steht, starten mehrere Gleitschirmflieger ihre Höhenflüge in den Abendhimmel.

Der Abstieg von der Passhöhe 2200 Meter bis auf 900 Meter zum nächsten Ziel lässt nicht viel Zeit für viele Gedanken. Die 78 Kilometer rumpelt die behäbig fahrende Walkuh mit vielen Foto-Pausen in siebeneinhalb Stunden zum nächsten Dorf. Ob sich der Ort wie auf der Karte Ouirgane oder wie im Reiseführer Wirgane schreibt, bleibt sich gleich. Hauptsache um 15.00 Uhr herrscht himmlische Ruhe, den die Vögel mit ihrem Balzen an den Ufern der Talsperre besingen.



Um sieben beginnt die Abfahrt vom Pass, bis knapp acht Stunden später und keine 80 Kilometer weiter auf 900 Meter Höhe wieder Feierabend ist.





Die Abfahrt über unzählige Serpentinen durch noch mehr Schlaglöcher auf der einspurigen Straße macht die ersten Stunden noch viel Freude.





Das Restaurant Alpine hat wohl schon länger den Betrieb aufgegeben. Bienen summen in den Bäumen, die Sonne wärmt wieder. Verkehr stört kaum, weil es kaum Autos verkehren.





Platz für eine Fernsehschüssel ist auf der kleinsten Lehmhütte.





Die Moschee Tin Mal aus dem 12. Jahrhundert steht Ungläubigen offen, weil kein Bet-Betrieb mehr stattfindet.





Der Moschee fehlt das Dach ebenso wie die vereinsamte Berggegend wohl kaum diese Räume mehr füllen würde.





Beim Blick zurück fallen schneebedeckte Atlasberge, der Wegweiser nach Taroudant und ein schwerer LKW auf, dem noch schwerer auszuweichen ist.





Fröhlich schwenken die jungen Männer Fahnen, singen, klatschen und gröhlen. Sicherheitsgurte fehlen vollends.





Der Talsperre bei Wirgane fehlt viel Wasser. Das wenige Wasser verprassen nicht zuletzt die Gäste der Luxushotels in Marrakech keine 60 Kilometer nördlich.





Am "Restaurant le Mouflon" ist schon um 15.00 Feierabend. Im Hintergrund blitzt das Wasser der Talsperre durch, welches weder zum Baden, Auto- noch Viehwaschen gebraucht werden darf.

Zur Mittagspause besuchte mich an der Straße des Moschee-Dorfes ein freundlicher, junger Familienvater. Er hielt seinen Wagen an, kam mit seiner Frau und vier kleinen Kindern zwischen zwei und fünf Jahren an mein Auto. Jedes seiner lieben Kinderchen hob er in die Walkuh, damit alle mein Haus begutachten. Seine freundliche Einladung in sein trautes Heim war mir allerdings zu nervig. Da er von mir auch keinen "Stylo" bekam, begnügte er sich mit Pfefferminzbonbons. Allerdings derer gleich sechs Stück, um jedem seiner Familienmitglieder eines abzugeben. Leider ist damit diese Notration für hungrige Marokkaner bald aufgebraucht. Vielleicht denkt meine Frau daran, ein paar Tüten Lakritz von Aldi mitzubringen?

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