21 Juli 2014

Bayern - Tirol: Rast und Ruhe

Mein Berufsleben war dauernde Anspannung, Termindruck, Pflichterfüllung. Nun ist diese Zeit seit dem 30. Mai 2011 aus und vorbei - endgültig. Der Pflicht folgt die Kür: Bildberichte von Rast und Ruhe. Wie einem alten Hund schlappt mir die Zunge aus dem Maul nach Kühlung.

 

Es käme mir nicht in den Sinn, mir eine neue Verpflichtung aufzuhalsen. All mein Sehnen pflegt Ruhe, Betrachtung, Besinnung. Es gilt, Stille in mir und mit andern zu suchen und zu finden, mich zum Ende meiner Tage in der Kunst des Schmeichelns zu üben und somit zustimmende Aufmerksamkeit zu erringen.


Mein Freund Hans-Joachim aus Marokko feiert nun schon das 50jährige Hochzeitsjubiläum mit seiner lieben Frau. Meine Lady in Red trägt mit mir auch schon bald 15 Jahre unseres gemeinsamen Lebens Lust und Last.


Auch wenn meine Fraun noch jünger und voller Tatendrang im Sommer wie zur Weihnachtszeit als Marktverkäuferin emsig und fleißig sich müht, nutzt sie die Zeit der Ruhe. Am Gradierwerk in Bad Reichenhall lassen wir uns nach erholsamer Radtour an der Salzach die Sonntagssonne auf den Bauch brennen, bis mich die Hitze auf einen Liegestuhl im Schatten wechseln lässt.


Unsere Radtour an der Salzach hat den Vorteil, dass keine Höhen zu überwinden sind.


Still und beschaulich führt uns der Weg am östlichen Salzach Ufer in immer ursprünglichere Bergregionen.


Am westlichen Ufer der Salzach geht es geruhsam zurück.


Wenn sich mein ermüdeter Körper eine Prise Schlaf erlaubt, so lässt sich dafür immer ein lauschiges Plätzchen finden.


Städtchen, die sich mit dem Wort "Bad" schmücken dürfen, sind Spielplätze für Graubärte und silberhaarige Großmütter. Die Stadtverwaltung investiert in Kuranlagen, Kurorchester, Kurveranstaltungen, Kurbäder, Kurkonzerte.

Bad

Statuen an den Hauswänden zeigen Mann und Frau in traditionellen Rollen: Sie betrachtet im Spiegel ihr anmutiges Anlitz. Seine Blicke bewundern ihren biegsamen, schmiegsamen, fügsamen Körper. Sie bewundert sich, er bewundert sie. Schon erregt sich sein Speer in der Hand.


Nicht, dass mir manchmal der Sinn nach noch mehr schönen Dingen steht - wie nach diesem geländigen VW-Crafter mit Allrad-Antrieb und viel, viel Bodenfreiheit. Doch meine Zeit ist abgelaufen, um noch mit sechstelligen Summen zu spielen.


Meine Ziele in Stadt und Land sind mit unserem kleinen Wohnmobil, dem Fahrrad und auch auf Schusters Rappen zu erreichen. Noch sind wir frisch und frohen Mutes, die Blumen auf der Erde zu bewundern. Bald düngen unsere angereiften Gebeine mitsamt unserer Komposti-Körper das Erdreich. Doch diese Gedanken belustigen mich mehr als sie mich beunruhigen.


Jedenfalls kommen wir immer noch schneller ans Ziel als dieses sich schlängelnde Viech auf gefährlichem Pflaster.


Wenn wir nicht bei regem Verkehr wie auf der Höhe der Rossfeld-Mautstraße übereinander purzeln, sind wir bislang meist gut und sicher durch unser reiches Leben gekommen.


Mit versonnenem Lächeln sehen wir aus den uns noch erreichbaren Höhen auf gut ausgebauten Fahrstraßen auf die Wimmelbilder im Tal.


Drunten im Tale haben wir in langen Berufsjahren, mit manch unerträglichen Stunden, uns in stetigem Streben redlich gemüht. Aus und vorbei. Jetzt dient des Tages Müh' und Plag' dazu, den alternden Leib vor dem Unausweichlichem lange zu bewahren: Dem Verfall. Menschen, die auf die 70 marschieren und über das Alter schon hinaus sind, haben viel zu erzählen. Neben den Unbillen der Welt-, Global- und Lokalpolitik drehen sich Gespräche um lebenswichtigere Funktionen wie den Blutdruck, die Magensäure, den Zahnersatz, Karzinome, Geschwüre und dergleichen mehr.


Doch bedächtiges Verweilen an schattigen Kultstätten kräftigt unsere Sinne, stärkt das Gemüt. Denn es gilt sich voll Würde und Anstand auf der Zielgerade ins letzte Ziel zu schleppen.


Nach sakraler Erbauung in Kirchen und Klöstern stärkt der Wandersmann auf seinem Pilgerweg sich an säkularen Schätzen. Die Bayern adeln diese Oasen weltlicher Genüsse im Schatten ehrwürdiger Kastanien als "Biergärten".


Ob sich bajuwarische Ureinwohner in "öffentlichen Lustgärten" fortpflanzen, ist nicht erwiesen. Fakt jedoch ist: Im Biergarten mischen sich Ureinwohner sogar mit "Zugeroasten".


Wenn wir uns nicht in unserer rollenden Hütte aus Kühlschrank, Bier- und Wasserkästen verpflegen, kochen und braten, verwöhnen uns bayerische Brotzeitstuben mit warmen Speisen. Vegetarier kommen selbst in bäuerlichen Betrieben mit Kaiserschmarrn oder schmackhaftem Käseomlett zu neuen Kräften.


Auf Duschen oder Schwimmbäder kann der Tourist in Bayern weitgehend verzichten. In urzeitlichen Eiszeitmulden sammelt sich Wasser von den Bergen. Daraus entsteigt der Touri gleich einem Yeti dem tiefsten, kühlen Naß des Königssees.



Ruhm und Glanz von Bayern strahlt aus in die weite Welt. Aus Großbritannien wagt sich ein Abenteuer in bescheidenem Fernreisefahrzeug in den Freistaat, an den Königsee. Mit wohligem Schaudern bewundern ehemalige Weltkriegsgegner Wunder wie das Kehlsteinhaus, einstmals Hitlers Adlerhorst, oder Neuschwanstein, das Prunkschloß von Ludwig, dem Zweiten.


Bayern ist grün dank gelegentlicher Regenschauer. Doch wenn die Sonne ihr Höllenfeuer aus wolkenlosem Blau-Himmel strahlt, dann wird es heiß - besonders in den Bergen.


Dann kühlen bayerische Bergseen selbst erhitzte Wanderer wieder ab.


Der bajuwarische Ureinwohner dankt seinem König für die Marmorsteine. Denn davon durften sich die Dörfler in Berchtesgaden einen Brunnen bauen. Schon 1909 bekamen die Berchtesgadener ihren Bahnhof. Hitler ließ sich das Kehlsteinhaus in den Jahren 1937/1938 mitsamt einer Zufahrt für seine Daimler-Karossen bauen.


An völkisch bajuwarische Gebrauchskunst muss man sich wahrscheinlich, wenn es geht, gewöhnen. Adler, Gemsen, Jäger, Wilderer und auch Weibsvolk in Tracht zieren häufig die Hauswände. Graffiti gibt es, wenn überhaupt, nur in unzugänglichem Bahnhofsgelände.


Berge, Wüsten und Meere bringen Menschen in eine demütig wehmütige Stimmung. Eingebildete Größe und Stolz verschwinden angesichts der gewaltigen Natur.


Berge, Wüsten und Meere verdeutlichen mir meine Endlichkeit wie das Alter auch.


Die Bootsfahrt über den Königsee kostet zwar 16,90 Euro. Doch für das Geld sind wir den ganzen Tag damit beschäftigt, uns durch die wunderbare Natur zu schleppen. Die Erdschwere fällt jedoch im kalten Wasser des Obersees bei den ersten Schwimmzügen ab.


Der Spazierweg führt vom Ende des Königssees, Salet, zum Obersee.


Bei einem Übergewicht von einigen Kilos schleppt sich der Körper mit Mühen bergauf, bergab durch die Sommerhitze.


Der Obersee liegt etwa 30 Meter höher als der Königsee. Von den Steilwänden am Talende plätschern Wasserfälle.


Nach zwölf Stunden Wanderung, unterbrochen von zwei kurzen Schlafpausen im Schatten und zwei Bädern im kalten Obersee kehren wir erschöpft "heim" ins Auto.


Leider reicht unsere Reiseharmonie nach fünf friedlichen Nächten nur noch bis Zell am See. Sonne und einige Stunden im Auto schaffen Unfrieden. Die Stimmung kippt. Die letzten drei freien Campingplätze in Zell am See zum Preis von 38 Euro schlagen wir leider aus. Regenschauer wechseln mit Bruthitze. Als mir nach Schweiß treibender Fahrt das Hemd am Körper klebt, an einer Straße das nächste Bad mich erfrischen muss, eskaliert Mimas emotionales Explosivgemisch.



Zwar schaffen wir es noch gemeinsam bis zu den Wasserfällen nach Kriml. Doch meine Kraft reicht nicht mehr aus, den brauchbaren Stellplatz zu bestimmen. Sie wählt einen angeblich ruhigeren Platz, an dem man nicht übernachten darf.


Vom Streit erschöpft, ist mir mein abendlicher Aufstieg zu den berühmten Wasserfällen in Krimml ohne Mima lieber. Mir kommt ihr Gezänk kindisch vor. Schweigend kühlt sich mein Unmut über den Reiseunfried in der sprühenden Gischt auf dem Wasserfallweg.


Dieser dritte Teil der Krimmler-Wasserfälle heisst "Staubige Reib". So staubig kommt mir lärmende Reiberei vor, die mir in der heißen Enge der Reise die Freude vermiest.


In der Jausen-Station stärkt mich eine Erbsensuppe für den Rückweg, der sich bis 22.00 Uhr hinzieht. Mein gereizter Magen lässt mich schlecht schlafen. Nachts dröhnen Motorradfahrer um den angeblich ruhigen Schlafplatz. Nach der unruhigen Nacht hat sich der Unfried nicht gelegt. Mima will in Innsbruck mit dem Zug zurück fahren.


Wie wir bei ihrer Empfindlichkeit gegenüber dem Straßenlärm weiter zusammen reisen sollen, ist mir schleierhaft. Trübe Gedanken.


Selbst die letzte Abendsonne auf dem Weg ins unfriedliche Heim heitern mich wenig auf. Grimmig und schweigend nimmt mir der Schlaf alle Sorgen, bis mich um 3.00 Uhr nachts Motorradfahrer wecken und lange schlaflos lassen.


Die untergehende Sonne färbt die Wolken. Doch meine Stimmung bleibt schwarzschattig.


Anderntags schafft selbst der wundervolle Gerloss-Pass keinen Frieden mehr zwischen uns. Ein kühlendes Bad im Speichersee am Weg ist zwar verboten, doch das stört mich wenig.


Nachdem Mima in Innsbruck mit ihren beiden Bündeln am Bahnhof heim gefahren ist, ist dieser Platz am rauschenden Navisbach an der Dorfstraße für die nächsten beiden Nächte mein Einsiedler-Asyl.


Die 600 Höhenmeter zur Vöstn-Alm strengen an, doch es gelingt mir auch dieses Jahr wieder. Meine Sommermonate dort 1972 und 1976 als Almhirte sind mir unvergesslich.


Die Heuernte am steilen Almhang ist im vollen Gang. Mehrere Sonnentage helfen, die kostbare Ernte einzubringen.


Für zwei Mal drei Sommermonate war dies mein Ausblick auf die Welt. Manches Mal lag das Tal in Wolken, oft genug auch die Alm. Dreimal musste bei Schnee in der Almhöhe von 1882 Meter das Vieh in den Stall.


Anderntags führt mich ein langer Wanderweg durch das sonnige Navistal. Die Naviser-Hütte ist wieder bewirtschaftet.


Von der Naviser-Hütte geht es zur Stöckl-Alm. Auch diese liegt, wie die Vöstn-Alm, auf 1882 Meter Höhe, eben gerade oberhalb der Baumgrenze. Dort wächst das Jungviel auf den weiten Höhen der Berge mit gutem Gras heran. Die Milchkühe bleiben auf den sanften Weiden nahe der Alm oder gleich im Stall.


Auf schmalem Höhenweg geht weiter zur Poltn-Alm. Die sonnigen Südgipfel zu besteigen, übersteigt meine Kraft.


Alpenrosen, Arnika und viele Wiesenblumen erfreuen den Wanderer.


Die Klammealm am Talende liegt 1948 Meter Höhe. In meinen Jugendjahren war mir sogar der steile Anstieg zum Reckner nicht zu weit. Doch von der Klammalm geht über die Peeralm zurück ins Tal. Der Weg wäre in vier Stunden zu schaffen, aber es geht auch in sechs Stunden.


Das Rindvieh an der Peer-Alm genießt die Mittagspause und den Blick ins Navistal.


Man kann sich das Almleben - besonders im Winter - noch reizvoller ausmalen.


Ein Spazier am Sonntagmorgen in Innsbruck, hier am Goldenen Dach'l, ist immer erfreulich. Das beschauliche Städtchen lässt sich in wenigen Stunden erforschen.


Doch bei 32 Grad zieht es mich in meinem Bus in die kühlende Höhe am Walchensee. Die 56 Kilometer sind schnell geschafft zu meinem Lieblingsstellplatz in Einsiedl und von dort in den See. Das Wasser dort ist angenehm aufgeheizt. Der Navisbach ist deutlich kälter.


Auch dieser Greif-Vogel vor der Universität ins Innsbruck scheint aus Hitlers Adlerhorst am Kehlsteinhaus entflogen zu sein.

Nach kühlenden Bädern im Walchensee, nach einer ruhigen Nacht an meinem Lieblingsstellplatz in Einsiedl, nach einem Morgenbad in Kochelsee, kommt pünktlich zu meiner Heimkehr der langersehnte Regen auf das ausgedörrte Land. Sogleich haben wir daheim wieder unsern Frieden.



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